Erwerbsobliegenheit des Insolvenzschuldners und Elternzeit

Während der sog. Wohlverhaltenszeit des Insolvenzschuldners besteht nach § 295 I InsO eine Erwerbsobliegenheit des Schuldners.

§ 295 I Nr. 1 InsO besagt: „Dem Schuldner obliegt es, während der Laufzeit der Abtretungserklärung eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben und, wenn er ohne Beschäftigung ist, sich um eine solche zu bemühen und keine zumutbare Tätigkeit abzulehnen.“

Demnach hat der Schuldner eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben, um die Gläubiger zu befriedigen und sich so die Restschuldbefreiung zu verdienen. Grundsätzlich besteht nach der ständigen Rechtsprechung die Verpflichtung zur Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung. Ausgegangen wird von einer erhöhten Arbeitsbereitschaft des Schuldners. Dieser darf zumutbare Tätigkeiten auch dann nicht ablehnen, wenn sie unterhalb seiner beruflichen Qualifikationen angesiedelt sind.

Familiäre Gesichtspunkte sind unter Umständen geeignet, die Erwerbsobliegenheit aus § 295 InsO einzuschränken. So kann eine Arbeit unzumutbar sein, wenn dadurch die „geordnete Erziehung eines Kindes gefährdet würde“ (§ 18 III 2 BSHG).

Die geordnete Erziehung eines Kindes, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, ist in der Regel dann nicht gefährdet, wenn und soweit unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse in der Familie die Betreuung des Kindes in einer Tageseinrichtung oder in der Tagespflege sichergestellt ist (§ 18 III 3 BSHG). Einem allein erziehenden Elternteil beispielsweise, dessen Kind die Grundschule besucht, kann dann die Aufnahme einer Ganztagesbeschäftigung zugemutet werden, wenn die Betreuung und Pflege des Kindes durch die Schule, durch Dritte oder Tagespflegestelle nach § 23 SGB VIII gewährleistet sind (BVerwG FEVS 46, 12).

Die Rücksichtnahme auf familiäre Pflichten des Schuldners darf insbesondere nicht dazu führen, dass der Schuldner in Absprache mit seinem Ehegatten die Erziehung übernimmt, während der andere nunmehr erwerbstätig ist.

In diesem Fall ist von einer Gläubigerbenachteiligung auszugehen und die Restschuldbefreiung kann versagt werden.

Eine Gläubigerbenachteiligung besteht allerdings dann nicht, wenn der Schuldner aus zumutbarer Tätigkeit kein pfändbares Einkommen erzielt hätte. Nicht durch die vorgenannten gesetzlichen Regelungen ist die Konstellation erfasst, dass der Insolvenzschuldner in Elternzeit geht, § 15 BEEG.

Danach haben die Arbeitnehmer einen Anspruch auf Elternzeit, die mit einem bis zu 3 Jahre alten Kind in einem Haushalt leben und dieses Kind selbst betreuen und erziehen, wenn sie für das Kind sorgeberechtigt sind oder wenn es sich um das Kind des Ehepartners handelt oder wenn sie zu dem Kind in einer anderen, im Gesetz genannten Beziehung stehen. Jedes Elternteil hat einen Anspruch auf Elternzeit. Elternzeit kann in Anspruch genommen werden bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes. Auch in diesen Fällen ist eine Einzelfallabwägung vorzunehmen. In diese Abwägung muss neben den familiären Verhältnissen wohl auch einbezogen werden, dass seit dem 01.08.2013 ein Rechtsanspruch auf eine Betreuung von Kindern ab 1 Jahr besteht.

Es kann somit die Betreuung des Kindes und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sichergestellt werden. Auch wenn ein Anspruch auf Elternzeit besteht, so sind die Anforderungen an eine Befreiung von der Erwerbsobliegenheit eher hoch anzusetzen, denn die Befriedigungsbelange der Gläubiger wurden durch den Gesetzgeber zu besonders gewichtigen Gemeinwohlinteressen erhoben. So wurde die Verfassungsmäßigkeit der Erwerbsobliegenheit im Hinblick auf Verstöße gegen Art. 12 I GG, 12 II GG und Art. 2 I GG bejaht. Schließlich „winkt“ dem Insolvenzschuldner auch eine Restschuldbefreiung.

Eine abschließende, allgemeinverbindliche, praktische Lösung kann auf Grund der vorgenannten Probleme nicht gegeben werden. Es muss in jedem Fall eine Einzelfallabwägung getroffen werden, die zum einen die Gläubigerinteressen berücksichtigt und zum anderen die familiären Umstände.

signatur-artikel-nadine-becker

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